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Venezuela: Interpol stoppt Verbreitung von BKA-Fahndung

Seit 27 Jahren fahndet die deutsche Polizei mit dubiosen Mitteln nach Personen aus dem linken Spektrum, obwohl die ihnen vorgeworfenen Straftaten im sogenannten K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren längst verjährt sind. Weiterhin verfolgt wird aber die Idee.

Die Kontrollkommission bei Interpol hat eine „Rotecke“ („Red Notice“) gegen den deutschen Staatsangehörigen Thomas Walter aufgehoben, weil sich dieser in einem Asyl-Verfahren in Venezuela befindet. Das meldet die Unterstützter:innen-Webseite der drei im sogenannten K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren Gesuchten. Die als „Rotecke“ bezeichnete Fahndung zur Festnahme war vom Bundeskriminalamt (BKA) veranlasst worden, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) Haftbefehle gegen Walter sowie die ebenfalls aus Deutschland stammenden Bernhard Heidbreder und Peter Krauth als Mitglieder einer „terroristischen Vereinigung“ ausgestellt hatte.

Das K.O.M.I.T.E.E. wird verdächtigt, vor 27 Jahren einen Brandanschlag auf ein Bundeswehrgebäude in Bad Freienwalde verübt zu haben, bei dem niemand verletzt wurde. Ein Jahr später soll die Gruppe versucht haben, ein im Bau befindliches Abschiebegefängnis in Berlin-Grünau in die Luft zu sprengen. Eine Polizeistreife war auf hierfür vorgenommene Absperrungen der Baustelle aufmerksam geworden. Die Täter flüchteten, das Gebäude blieb unversehrt. In einem am Tatort zurückgelassenen Fahrzeug wurden laut BKA Beweismittel gefunden, die den drei Gesuchten zuordnet wurden.

Fahndung mit Honigtopf

Im Rahmen der Ermittlungen durchsuchte das BKA die Redaktion der Tageszeitung taz und Privaträume einer Journalistin, um das Original eines Bekennerschreibens der Gruppe zu finden. 2005 riefen Ermittler die Ehefrau eines Geschäftspartners von Heidbreder unter falscher Legende an und reisten dem Mann nach Ägypten hinterher, wo sie heimlich dessen Hotelzimmer durchsuchten. Zu den dubiosen Fahndungsmaßnahmen gehörte auch eine Videoüberwachung im Deutschen Historischen Museum in Berlin, weil von einem dort öffentlich zugänglichen Computer angeblich die Webseite des BKA mit Informationen zum K.O.M.I.T.E.E. aufgerufen wurde.

2014 hatten deutsche Zielfahnder Heidbreder schließlich in Venezuela entdeckt und mithilfe der dortigen Polizei verhaften lassen. Ein Auslieferungsersuchen lehnte der Oberste Gerichtshof in Caracas zwar ab, weil die vorgeworfenen Straftaten nach venezolanischem Recht verjährt sind. Seine Freilassung nach einem Jahr Haft verzögerte sich aber um weitere neun Monate. Anschließend wurde auch Krauth aufgrund seiner Interpol-Fahndung inhaftiert und mit der gleichen Begründung nach vier Monaten wieder entlassen. Alle drei leben inzwischen in Mérida im Westen Venezuelas, wo sie die Anerkennung als politische Flüchtlinge beantragt haben. Dies ist dem BKA bekannt.

„Beißreflex deutscher Strafverfolgungsbehörden“

Die Kommission für die Kontrolle der bei Interpol gespeicherten Daten (CCF) soll als unabhängiges, unparteiisches Gremium die Verarbeitung personenbezogener Daten kontrollieren. Nach Artikel 3 seiner Statuten ist Interpol jegliche Unterstützung politischer Verfolgung untersagt. Aus diesem Grund zieht die Polizeiorganisation immer wieder Fahndungen zurück, viele davon aus Staaten wie der Türkei. 2018 richtete Interpol eine „Notices and Diffusion Task Force“ (NDTF) ein, die sämtliche bestehenden „Rotecken“ auf einen Artikel-3-Verstoß überprüfen sollte. In weit über 100 Fällen wurden die Mitgliedstaaten anschließend zur Löschung der Fahndung aufgefordert.

Nicht nur Asylsuchende sollen vor einer internationalen Verfolgung durch Interpol geschützt werden. Eine Interpol-Fahndung ist auch dann obsolet, wenn sie nicht innerhalb einer angemessenen Zeit zum Erfolg führt. Nach 27 Jahren, wie im Fall der drei gesuchten Deutschen, müsste die Ausschreibung allein aus diesem Grund gelöscht werden.

Auch in Deutschland ist die Vorbereitung der Sprengung des Abschiebegefängnisses nach 20 Jahren eigentlich verjährt. Die Haftbefehle werden jedoch aufrechterhalten, weil die Verabredung zur Begehung derselben Straftat erst nach 40 Jahren verjährt. Eine Beschwerde dagegen, dass die Idee länger verfolgt und härter bestraft wird als deren Vorbereitung oder Durchführung, wies der BGH in Karlsruhe zurück. Benjamin Derin, der Rechtsanwalt von Walter, der die nun erfolgreiche Interpol-Entscheidung beantragt hatte, spricht deshalb von einem „Beißreflex der deutschen Strafverfolgungsbehörden“.

Keine Verpflichtung zur Löschung einer Fahndung

Auch Heidbreder hat gegen die „Red Notice“ Beschwerde eingelegt, die vermutlich gleichlautende Entscheidung steht noch aus.

Nach der Rücknahme einer Ausschreibung durch Interpol sind deren 194 Mitglieder angehalten, diese in ihrem Bestand zu löschen. Eine Verpflichtung ergibt sich aus der Aufforderung aber nicht. So hatten etwa das Bundesamt für Justiz und das Auswärtige Amt bis 2018 entschieden, mindestens fünf von Interpol annullierte „Rotecken“ weiterhin als nationale Fahndungen zur Festnahme aufrecht zu erhalten.

Im Falle der drei im K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren Gesuchten könnten also einzelne Interpol-Mitglieder die BKA-Ersuchen nach ihrer Rücknahme durch Interpol weiter verfolgen. Wenigstens in Venezuela sollte die Ausschreibung jedoch gelöscht werden. Wenig erfreuen dürfte dies Jürgen Stock, den zuletzt für eine zweite Amtszeit wiedergewählten Generalsekretär von Interpol. Bevor er das Amt 2014 antrat, war er zehn Jahre lang Vizepräsident des BKA.

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