Polizei hat verfassungswidrige Gesichtserkennung ohne Kenntnis der Datenschutzbehörde eingesetzt
In Sachsen hat die Polizei ein System zur automatisierten Nummernschild- und Gesichtserkennung eingesetzt. Die dortige Datenschutzbehörde weiß von nichts und hält das System für verfassungswidrig.
Die Landesdatenschutzbeauftragte hatte nach eigener Auskunft keine Kenntnis davon, dass die sächsische Polizei in der Vergangenheit Videoüberwachung mit Echtzeit-Nummernschild- und Gesichtserkennung eingesetzt hat. Die Landesdatenschutzbeauftragte hält den Einsatz der Technik für verfassungswidrig – und will nun beim sächsischen Innenministerium nachforschen. Das geht aus der Antwort auf eine Beschwerde (PDF) hervor, die netzpolitik.org im Volltext veröffentlicht.
In der Antwort der Behörde heißt es: „Angesichts der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu präventiven Maßnahmen der automatisierten Kennzeichenerfassung dürfte es keinen Zweifel daran geben, dass die biometrische Echtzeit-Verarbeitung und ein Live-Abgleich der Gesichtsbilder von Personen, die eine Überwachungskamera im öffentlichen Raum passieren, gegen die Verfassung verstößt.“
Einsatz durch parlamentarische Anfrage bekannt geworden
Durch eine kleine Anfrage im Abgeordnetenhaus Berlin und durch Recherchen des „nd“ und netzpolitik.org war im Mai bekannt geworden, dass die sächsische Polizei ein heimliches Observationssystem mit hochauflösenden Kameras und Gesichtserkennung einsetzt. Die Kameras können in parkenden Fahrzeugen verbaut oder stationär montiert werden. Mit ihnen kann die Polizei ermitteln, ob sich eine verdächtige Person an einem bestimmten Ort aufgehalten hat.
Details zur Funktionsweise des Systems unterliegen in Sachsen der Geheimhaltung, sagte ein Polizeisprecher gegenüber dem „nd“. Ob es sich bei dieser „Observationstechnik für verdeckte Maßnahmen“ um Elemente des schon früher in Görlitz eingesetzten „Personen-Identifikations-Systems“ (PerIS) handelt, ist unklar. Jedoch gibt es Hinweise darauf: Der erste bekanntgewordene Einsatz der verdeckten Observationstechnik aus Sachsen erfolgte in Berlin im Bereich der „grenzüberschreitenden Bandenkriminalität“. Diese Ermittlungen führt die Polizeidirektion Görlitz, die das PerIS als erste sächsische Behörde 2020 angeschafft hat.
Beschwerde gegen Überwachungssystem
Nach Veröffentlichung des Berichtes hatte sich die sächsische Piratenpolitikerin Anne Herpertz mit einer Beschwerde an die zuständige Landesdatenschutzbehörde gewandt. Herpertz nennt es „erschreckend“, dass erst ihre Anfrage dazu geführt hat, dass die Praxis der Gesichtserkennung in Echtzeit überhaupt thematisiert und untersucht wird.
Dass die Datenschutzbeauftragte davon ausgehe, dass die Technik nie eingesetzt wurde, hält sie für „naiv“. Sie fordert nun Aufklärung: Der Paragraf 59 des Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes (SächsPVDG), der die biometrische Videoüberwachung zur Verhütung grenzüberschreitender Kriminalität ermöglicht hätte, ist schon Ende des Jahres 2023 ausgelaufen.
Die sächsische Datenschutzbeauftragte will sich bei Herpertz wieder melden, sobald zweifelsfrei feststehe, welche Maßnahmen mit welcher Eingriffstiefe die Polizeidirektion Görlitz mit dem „Personen-Identifikations-System“ durchgeführt hat und ob diese Maßnahmen ausdrücklich richterlich angeordnet worden waren oder nicht.