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Für ein Ende der Gewalt.

Ein Einwurf der interventionistischen Linken Frankfurt zum Krieg in Israel/Palästina
 
Am 7. Oktober verübten die Hamas und ihre Verbündeten mit ihrem Terrorüberfall auf Israel ein beispieloses antisemitisches Massaker. Mehr als 1.200 Menschen, überwiegend Jüd:innen, wurden brutal ermordet, viele Weitere verletzt, vergewaltigt, vertrieben und traumatisiert. Noch immer werden über 200 Geiseln im Gazastreifen festgehalten, ihre Situation ist unklar. Die israelische Regierung antwortete mit einer kompletten Abriegelung des Gazastreifens, inklusive lebensnotwendiger Güter wie Essen,sauberes Wasser, Medizin und Treibstoff für (Strom-)Generatoren, und startete umfassende Luft- und Artillerieangriffe. Seit dem 27. Oktober ist die israelische Armee in den Gazastreifen einmarschiert und hat ihn in Norden und Süden geteilt. 1,5 Millionen Palästinenser:innen wurden vertrieben, weit über 10.000 getötet und ermordet, Zehntausende verletzt oder unter Trümmern begraben.

Während wir täglich Berichte und Bilder dieser furchtbaren Eskalation sehen, nimmt die antisemitische Gewalt zu. Pro-palästinensische Demonstrationen werden polizeilich drangsaliert oder unterbunden. In den deutschen Feuilletons überschlagen sich vermeintliche Wahrheiten und Anschuldigungen. Öffentliche Veranstaltungen werden abgesagt, Referent:innen ausgeladen, Kooperationen aufgelöst.

Als radikale Linke straucheln wir und versuchen, das Ausmaß an Gewalt und militärischer Vergeltung zu begreifen, das sich mit und seit dem 7.Oktober materialisiert. Auf keinen Fall wollen wir uns in den Abgrund der Entmenschlichung und Kriegslogik hineinziehen lassen, der sich ausbreitet – auch und vor allem hierzulande. Sprechen wir also mit all jenen, deren Herzen voller Schmerz sind, die aber trotzdem begreifen und eine politische Haltung entwickeln wollen.


Das Recht auf Leben – für alle

Zu sagen, was ist, scheint selbst einigen unserer Freund:innen und Genoss:innen schwer zu fallen. Zu groß sind die Fliehkräfte der Polarisierung, zu abscheulich sind die begangenen Verbrechen der Hamas, zu gewaltsam das militärische Vorgehen der israelischen Regierung, zu groß die Angst, etwas Falsches zu sagen. Als Linke sollten wir dem vorherrschenden Positionierungsdruck widerstehen und uns einem Bekenntniszwang entziehen, dem es nur um die eigene "Wahrheit", nicht aber um Verständnis geht. Wir wollen und können uns auf keine andere Seite stellen, als die der Menschen, die unter dem Terror, den Raketen und der Besatzung leiden, die ihre Liebsten verlieren und um ihr eigenes Leben fürchten, deren Stimmen im Kriegsgetöse untergehen, die sich der Kriegslogik entziehen und die trotz des religiösen und nationalistischen Taumels nicht aufhören, ihre Kämpfe von unten zu führen.

Angesichts der allgemeinen rhetorischen, wie militärischen Entmenschlichung, der unbedingten Rechtfertigung des militärischen Vorgehens – trotz dessen offensichtlicher Entgleisung –, gilt es, das Recht auf Leben für alle zu verteidigen, wenn es sonst niemand mehr tut. Es gilt, alle Toten zu betrauern und das Leid der Anderen empathisch anzuerkennen, auch wenn die eigene Verletzung und die Wut tief sein mögen. Es gilt, die Rechtfertigung des Horrors durch vorangegangene Verbrechen konsequent zurückzuweisen. Die Unteilbarkeit der Menschenrechte darf nicht aufgegeben werden. Eine Linke, die hinter diesem Anspruch zurückbleibt, kann einpacken. Es gilt, sich der falschen Polarisierung zu entziehen, das Entweder-oder zurückzuweisen und auf einer dritten Position der Menschlichkeit und der Befreiung zu beharren. Gerade im Angesicht des Abgrunds. Daraus folgt für uns: Die Geiseln müssen freigelassen werden, jetzt sofort. Der Krieg und die Gewalt müssen aufhören, jetzt sofort.


Die Logik des Krieges

Was in Israel, Gaza und auch in der Westbank seit dem 7. Oktober passiert, ist eine neue Eskalationsstufe in einem jahrzehntelangen Konflikt. Auch wenn es kein Konflikt ist wie jeder andere: Gerade jetzt erscheint es uns lohnenswert, die aktuelle Eskalation in den größeren Kontext einer sich weltweit ausbreitenden Logik des Krieges einzuordnen – und zu versuchen, eine umfassende antimilitaristische Kritik zu entwickeln.


Das bedeutet:

I. Die Logik des Krieges befeuert auf allen Seiten Autoritarismus, Nationalismus und Homogenisierung. Widersprüche werden überdeckt durch nationalen Konsens. Es geht darum, das eigene Leben auf Kosten des Lebens des antisemitisch oder rassistisch entwerteten Gegenübers zu verteidigen. Zuallererst gilt es deshalb, die behauptete Homogenität beider Seiten zurückzuweisen. Erinnern wir an die vielfachen politischen und sozialen Widersprüche, die sowohl innerhalb der israelischen als auch der palästinensischen Gesellschaft bestehen und die für die Dynamik des Konflikts zentral sind – auch und gerade, weil sie aktuell keine Rolle mehr zu spielen scheinen: Widersprüche zwischen oben und unten, rechts und links, religiös und säkular, autoritär und demokratisch, reaktionär und emanzipatorisch. Erinnern wir an die monatelangen Proteste gegen die Justizreform der rechtsextremen Regierung Netanjahu, an den Mut israelischer und palästinensischer Friedensaktivist:innen und daran, dass die islamistische Hamas ebenso wie rassistische Siedler:innen Feinde der Linken sind.

II. Sicherheit wird sich nie herstellen über Zäune, Mauern, Aufrüstung und Krieg. Auch wenn es realpolitisch aktuell in unendlich weiter Ferne erscheint: Sicherheit für Jüd:innen und Palästinenser:innen gleichermaßen kann es nur geben unter den Bedingungen von Frieden, Gerechtigkeit und Gleichheit. Sicherheit kann es nur geben, wenn emanzipatorische Bewegungen die Spaltung in nationalistisch, rassistisch und antisemitisch gesetzte Grenzen zurückweisen und Befreiung von unten erkämpfen.

III. Die aktuelle Eskalation wäre undenkbar ohne die Einflussnahme geopolitischer Konfliktparteien. Ihr erstes Interesse gilt nicht der Verteidigung palästinensischen oder jüdischen Lebens, sondern der eigenen Position in der geopolitischen und kapitalistischen Konkurrenz in der Region. Bei der Hamas sind dies unter anderem der Iran, die Türkei und Katar, bei Israel Deutschland, die USA und Europa. In diesem Sinne geht es beim aktuellen Konflikt immer auch um die regionale Hegemonie im Nahen Osten und letztlich um die Frage der globalen Kräfteverhältnisse.

IV. Die Eskalation im Nahen Osten ist Teil einer weltweiten Kriegsdynamik. Bei aller Unterschiedlichkeit und Besonderheit der Situation: Auch dieser Konflikt ist Teil einer Welle kriegerischer Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Die Zunahme von Autoritarismus und Gewalt, von polizeilichen und militärischen Maßnahmen, die Wiederkehr des Krieges auch in vermeintlich friedlichen Regionen und die allgemeine Militarisierung des Gesellschaftlichen sind die Reaktionen der Herrschenden auf eine Welt, die sich zunehmend der Kontrolle entzieht und vor unseren Augen zerbricht. Dabei bringen Gewalt und Krieg selbst nurmehr weitere Zerstörung, Verrohung und Brutalisierung hervor - eine Antwort auf die Krisen sind sie nicht.


Deutsche Zustände

Wenn wir uns hierzulande, in Deutschland, zum Krieg in Israel und Palästina äußern, wenn wir uns in der und gegen die globale Logik des Krieges verorten, so tun wir dies unter besonderen Bedingungen. Wir tun dies im Land der Täter der Shoa, im Land von Vergangenheitsentsorgung und Leitkultur. Bei den Debatten um Israel und Palästina geht es hierzulande auch und zuallerst immer um Deutschland und die Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in diesem Land.

Unter diesem Gesichtspunkt waren die letzten Wochen seit dem 7. Oktober verheerend. Es wird über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Hamas und den Nazis fabuliert und so die brutalen Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert. Andererseits wird mit der notwendigen Kritik des Antisemitismus dort begonnen und aufgehört, wo die rassistische Mehrheitsgesellschaft ohnehin den Ursprung allen Übels verortet: in der Einwanderungsgesellschaft und den migrantisch geprägten Vierteln der Großstädte, bei den Muslim:innen oder solchen, die dafür gehalten werden. Die Logik ist beide Male die gleiche: Wer Antisemit ist, das bestimmen die Deutschen – es waren und es sind immer die Anderen.

Doch Antisemitismus ist eben kein „importiertes“ Problem. Davon zeugen das Attentat von Halle, die Wahlergebnisse und die Normalisierung der AfD, die Flugblattaffäre um Hubert Aiwanger, die Vernichtungsphantasien von Reichsbürgern und rechten Netzwerken in den Unsicherheitsbehörden und nicht zuletzt die Kontinuität der historisch krachend gescheiterten Entnazifizierung.

Umso abstoßender ist es, wenn die herrschende Politik – längst nicht nur von rechts – den Antisemitismus-Vorwurf dafür instrumentalisiert, rassistische Polizeikontrollen und Migrationspolitiken, Demoverbote und Abschiebungen zu rechtfertigen. Auf Demos soll nur noch Deutsch gesprochen oder besser gleich die Fresse gehalten werden. Habeck inszeniert sich als Antifaschist und ist doch keiner. Antifaschismus bedeutet, die Menschlichkeit gegen die Verrohung zu verteidigen, sich gegen rassistische Polizei- und Staatsgewalt zu wehren UND sich schützend vor Synagogen zu stellen. Antifaschismus ist universell. Habecks Antifaschismus hingegen bedeutet Abschiebung und Polizeistaat. Er gilt nur für die einen und nicht für die anderen. Er hat den Namen nicht verdient. Antifaschismus ist unteilbar – oder er ist keiner.

Es ist kein Zufall, dass sich die Logik des Krieges mit einer Logik der Abschottung verbindet. Die Politik der Mauern und der rassistischen Ausschließung geht Hand in Hand mit der Vorstellung, die katastrophischen Zustände der Welt mit militärischer Gewalt in den Griff bekommen zu können. Es ist die Logik der autoritären Kipppunkte der bürgerlichen Mitte. Einmal mehr wird der Rahmen dessen, was als moralisch vertretbar gilt, autoritär verengt. Einmal mehr bleibt zwischen zwei Polen kein Raum mehr für Zwischentöne. Einmal mehr muss die vermeintliche Verteidigung demokratischer Rechte dafür herhalten, ebenjene zu beschneiden. Der Ausnahmezustand und die damit einhergehende Autoritarisierung haben ihren festen Platz in der Logik des Krieges.

Diese Politik der gewaltvollen Entmenschlichung wird aber nicht nur von oben betrieben. Synagogen und Moscheen werden angegriffen. Wohnhäußer von Jüd:innen werden mit Davidsternen beschmiert, Jüd:innen haben Angst, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen und ihre Schulen, Gemeindezentren und Gebetshäuser zu besuchen. Palästinensischen Schüler:innen, die große Teile ihrer Familie verloren haben, wird untersagt, öffentlich Trauer zu zeigen. Ihre Toten scheinen keine Bedeutung zu haben. In all dem zeigt sich die gewaltvolle Seite einer gesamtgesellschaftlichen Rechtsverschiebung, über die plötzlich nicht mehr gesprochen wird – denn auch die Gewalt ist immer das Problem der "Anderen". Die Selektivität von Anteilnahme, Empathie und dem Zugestehen von Rechten wird von der Ausnahme zum Standard und führt zum gesellschaftlichen Bruch mit den Betroffenen, die man kalter Einsamkeit überlässt.

Doch die Gewalt ist eben Teil dieser, unserer Gesellschaft. Und sie wird es mit jedem Tag mehr, an dem Antisemitismus und Rassismus, Abschottung und Militarisierung, Entdemokratisierung und Autoritarismus um sich greifen. Die Logik des Krieges befeuert all dies. Und sie bedient das neoliberale Projekt der Austerität: Jeder Euro Sondervermögen und Rüstungsetat beschert Konzernen wie Rheinmetall und Airbus Milliardengewinne, fehlt aber im Sozialstaat. In diesem Sinne haben die Kosten der Kriege wir alle zu tragen, in Form von mehr Ausbeutung, mehr sozialer Spaltung und mehr Gewalt – auch wenn wir von dieser ganz unterschiedlich betroffen sind.

Was bedeutet es nun, sich der Logik des Krieges zu entziehen – in dem vollen Wissen, dass wir es nicht sein werden, die das Sterben in Israel und Palästina beenden können? Sagen wir, was ist. Widerstehen wir dem Bekenntniszwang. Beharren wir darauf, dass Solidarität unteilbar ist. Zeigen wir klare Kante und greifen die Kriegstreiber, die Rassisten und die Antisemiten an. Bilden wir neue Allianzen und strecken die Hände aus zu all jenen, die sich der Verrohung entgegenstellen. Tragen wir die kleine Flamme der Solidarität in die Dunkelheit. Bleiben wir menschlich.


Interventionistische Linke Frankfurt, Ende November 2023