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Gesichtserkennung - In welcher Welt wollen wir leben?

Journalisten hatten Bilder von Daniela Klette mit einer kommerziellen Suchmaschine entdeckt. Viele verlangen jetzt, die Polizei sollte solche Gesichtersuchen auch einsetzen dürfen. Aber bei der Diskussion um die Fahndung nach den Ex-RAF-Mitgliedern geht einiges durcheinander. Ein Kommentar.

Mehr als 30 Jahre fahndeten die Ermittlungsbehörden nach drei früheren RAF-Mitgliedern, denen zahlreiche Straftaten vorgeworfen werden. Am 26. Februar 2024 nahmen Zielfahnder eine der drei in Berlin fest. Daniela Klette hatte dort jahrelang gewohnt. Nicht „im Untergrund“, sondern mitten in Kreuzberg. Mit Nachbar:innen, Hund und Tanz-Hobby.

Dabei hatten Podcast-Journalisten Klette im Dezember 2023 bereits um ein Haar aufgespürt. Mit der Gesichtserkennungs-Suchmaschine PimEyes brauchten sie nach eigener Auskunft 30 Minuten, um mit Hilfe von Klettes Fahndungsfotos weitere Bilder von ihr zu finden – auf der Seite eines Capoeira-Vereins in Berlin.

30 Minuten für etwas, das deutsche Fahnder seit 30 Jahren nicht geschafft haben? Seit Klettes Festnahme läuft nicht nur die Fahndung nach den beiden verbliebenen Ex-RAFlern Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub auf Hochtouren. Sondern auch die Diskussion um Gesichtserkennung für die Polizei.

Polizeigewerkschaften fordern jetzt, die Polizei sollte ebenfalls mit solcher „hilfreicher Software“ fahnden dürfen. Flankiert werden sie dabei von Politiker:innen, die wie Burkhard Dregger von der CDU verlangen, „mehr künstliche Intelligenz“ einsetzen zu dürfen.

Bei dieser reflexhaften Diskussion gibt es aber zwei große Probleme: Kaum jemand redet darüber, um welche Gesichtserkennung es da eigentlich geht. Und kaum jemand bedenkt, was diese Forderungen eigentlich für unsere Gesellschaft bedeuten. Nicht jetzt, sondern auch dann, wenn die aktuelle Peinlichkeit einer jahrzehntelangen, erfolglosen Fahndung nach Menschen „im Untergrund“ abgeklungen ist.

Über welche Gesichtserkennung reden wir eigentlich?

t-online ließ eine Umfrage erstellen, die das Problem der mangelnden Differenzierung deutlicher nicht zeigen könnte. „Wie würden Sie es bewerten, wenn die Polizei Gesichtserkennungssoftwares zur Strafverfolgung nutzen dürfte?“ lautet da die Frage. 72 Prozent der Befragten finden das demnach gut. Im Text, der die Umfrage begleitet, stellt t-online aber eine andere Frage: „[Programme wie PimEyes] darf die Polizei aber nicht ohne gesetzliche Grundlage nutzen. Sollte sich das ändern?“ Und beantwortet sie stellvertretend für die repräsentativ gefragte Bevölkerung mit „Ja“.

Das ist zumindest verzerrend. Die Umfrage mag zwar repräsentativ sein, ihre Aussagekraft zum im Text aufgeworfenen Thema aber geht steil gegen null. Denn nach PimEyes hatte bei der Umfrage niemand gefragt. Und es hat offenbar auch keiner die Teilnehmenden der Umfrage darüber informiert, dass Polizeien Gesichtserkennung an sich schon längst nutzen dürfen. Leicht zu finden ist etwa das „Gesichtserkennungssystem“ des Bundeskriminalamts, das es seit 2008 gibt. Damit kann die Polizei zwar nicht wahllos nach Gesichtern im Internet suchen, aber Bilder etwa mit Material von bekannten Straftäter:innen in ihrer eigenen Datenbank INPOL abgleichen.

In der INPOL-Datei waren Anfang 2023 immerhin 6,7 Millionen Bilder zu 4,6 Millionen Personen gespeichert. 2022 konnte die Bundespolizei mit ihrer Technik 2.853 unbekannte Per­sonen identifizieren. Es laufen auch Tests dazu, wie die Polizei massenhafte Daten aus dem öffentlichen Raum effizienter nach Gesichtern scannen kann. All das fällt bei den aktuellen Forderungen unter den Tisch.

Behörden dürfen Gesichtserkennung längst nutzen, nur nicht wahllos

Erinnern können hätte man sich daran, weil es jüngst Diskussionen zum europäischen KI-Gesetz gab. Einer der Streitpunkte war gerade der, ob es den Behörden erlaubt sein soll, nachträglich eine biometrische Erkennung auf vorhandenem Material zu machen. Dabei werden etwa Aufnahmen aus Videokameras im öffentlichen Raum später analysiert, um bestimmte Personen am Gesicht oder Gang zu erkennen. Jetzt zu insinuieren, dass den Strafverfolgern keinerlei biometrische Auswertung zur Verfügung stünde, verzerrt die Diskussion ungemein, denn das „Nummernschild im Gesicht“ kommt.

Was die Behörden nicht dürfen: Illegale Dienste für ihre Arbeit nutzen oder wahllos zusammengeklaubte Gesichtsdaten aus dem Internet auswerten, bei denen niemand nach einer Zustimmung gefragt wurde. So etwas tut etwa PimEyes, wenn es für die eigene Datenbank millionenfach Gesichtsdaten aus dem Netz saugt. Behörden arbeiten basierend auf Gesetzen, die ihnen Gesichtserkennung bei der Strafverfolgung erlauben. Und das seit vielen Jahren.

Wir haben im Jahr 2020 in einer Recherche beschrieben, welche Gefahr von PimEyes für die Anonymität von uns allen ausgeht. Im Zuge unserer Berichterstattung verlagerte das Unternehmen seinen Sitz von Polen auf die Seychellen, später nach Belize. Facebook und Google drohten Abmahnungen gegen die Firma an, Datenschutzbehörden wurden aktiv. Um anzunehmen, dass der Dienst mit der Datenschutzgrundverordnung vereinbar sein soll, braucht man wohl einiges an Fantasie.

Eine ebenso suggestive, aber ähnlich sinnvolle Frage im Fall der t-online-Umfrage könnte also lauten: „Stimmen sie zu, dass eine private Firma irgendwo im Indischen Ozean oder Hauptsache außerhalb europäischer Jurisdiktion ohne Sie jemals gefragt zu haben alle Bilder von Ihnen, die sie in die Hand bekommt, biometrisch auswertet, um diese Bilder dann von Polizeien, Unternehmen und allen möglichen Privatpersonen wie möglicherweise Ihrem Stalker durchsuchen zu lassen?“

Was kommt nach der Schlagzeile?

Ein anderes Problem ist die akute Aufgeregtheit der Diskussion. Deren Horizont scheint an der mutmaßlichen Bauwagentür Garwegs zu enden. Hätte die Polizei Klette und Co. nur dann schneller finden können, wenn sie selbst beispielsweise privatwirtschaftliche Gesichtersuchmaschinen genutzt hätte?

Wir wissen nicht, was die Behörden sonst versucht haben. Wir wissen nicht, welche Fehler gemacht wurden und warum die Fehler der Gesuchten die Behörden nicht schneller auf ihre Spur geführt haben. Warum glaubte Klette, sie könne Fotos von sich auf ihrem Facebook-Profil posten und unerkannt bleiben? Wie konnte sie unbehelligt reisen, bis nach Brasilien? Warum hat sie – was möglich ist – bei der Gesichtersuchmaschine PimEyes nicht dagegen widersprochen, mit ihren Bildern dort auffindbar zu sein? Und warum blieb sie trotz der Veröffentlichung des Podcasts, trotz Aktenzeichen-XY-Aufruf im Februar, einfach in Berlin?

Wir wissen auch nicht, worauf sich der entscheidende Hinweise zu Klettes Verbleib genau bezog. Wir tappen bei vielem im Dunkeln und das ist auch kaum anders möglich. Was uns jetzt nicht weiterbringt: Forderungen, die sich drehen wie ein Fähnchen im Wind. (Kurze Erinnerung: 2020 hatten Polizeigewerkschaften noch gefordert, Suchmaschinen wie PimEyes zu verbieten.)

Worüber wir jetzt bereits diskutieren können und auch sollten: Wollen wir in einer Welt leben, in der Behörden alle Menschen de-anonymisieren können, wenn sie ein Foto von ihnen in die Hand bekommen? Wollen wir, dass dafür das Internet nach allen möglichen Bildern und den in ihnen enthaltenen biometrischen Informationen abgegrast wird? Wollen wir in dem Zuge massenhaft Unverdächtige scannen, indem wir noch mehr Kameras an öffentlichen Orten aufstellen und die Bilder mit Fahndungsdatenbanken abgleichen?

Oder anders formuliert: In welcher Welt wollen wir leben, wenn die Schlagzeilen um Klettes Verhaftung wieder vergessen sein werden?