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Wurmlöcher des Antagonismus (Part I – Polykrise und Hybris)

Sebastian Lotzer 9. März 2025 

Trump geht all in, die europäischen Militärhaushalte werden explodieren, der neue Liberalismus, eben noch von Döpfners Schreibstube enthusiastisch abgefeiert, ruft nun besorgte Stimmen auf den Plan, die verzweifelt fragen, wo Europa mit seinen Abermilliarden Euros neue Waffensysteme kaufen soll, da den europäischen Generalstäben bewusst wird, dass praktisch alle modernen Waffensysteme ständige Updates benötigen, die im Zweifelsfall die US amerikanischen Hersteller verweigern könnten, wenn die Divergenzen eine bestimmte Fallhöhe erreichen sollten. Die Franzosen setzen seit Jahrzehnten auf eigenständige Waffenentwicklung – und Produktion, was eben noch als postimperialer Größenwahn einer ehemaligen Weltmacht erschien, die spätestens 39 in die reale Bedeutunglosigkeit gefallen war, ist nun der neue Sound der westeuropäischen Aufrüstung. Die Tendenz zum Krieg hat schon vor Jahren die Agenda des grünen Kapitalismus abgelöst, nur eine blasierte kleinbürgerliche deutsche Blase, von der grünen Partei bis in die sogenannten postautonomen Vorfeldorganisationen hat dies immer noch nicht realisiert. Und nein, die Zeitenwende ist nicht der Ausbruch des Ukraine Krieges, sondern die Perspektivlosigkeit des Kapitalismus in seiner Verwertungskrise, die immer neue Blasen produziert, die alle, latent instabil, jederzeit die gesamte soziale Zusammensetzung in den Metropolen innerhalb von Wochen, vielleicht sogar Tagen, zusammenbrechen lassen können, 2008 war im Vergleich dazu nicht mal eine Vorahnung eines Vorbebens, der Absturz an den Tech Märkten am Tage des Triumphes von DeepSeek kommt einer Simulation der kommenden apokalyptischen Reiter der Märkte wohl eher näher, nicht in den Dimensionen, aber in der Geschwindigkeit und dem unvermittelten Aufprall. Im Grunde spielt es keine Rolle ob Trump die Strafzölle für kanadische oder mexikanische Importe beibehält, reduziert, oder wieder ganz zurücknimmt – ob und wie lange er seinen Hofnarren Musk noch an seiner Tafel Platz nehmen lässt, der es sich in Verkennung der wirklichen Machtverhältnisse schon innerhalb von wenigen Wochen mit der Hälfte der Regierungsmitglieder verscherzt hat (in den Führungsetagen von BlackRock & Co lacht man sich eh scheckig über die neuen libertären Pausenclowns Musk, Milei und Co mit ihren Marsbesiedlungsplänen und Kettensägenmassakern, billiger Unterhaltungstrash der von den wirklichen strategischen Entscheidungen der wirklichen Big Player ablenkt, die die eigentliche Politik, auch von Trump, diktieren und diktieren werden) – die wirklich interessanten Fragen sind die Positionierungen im Kräftemessen zwischen China und den USA, in diesem Kontext kommt auch Russland ins Spiel, und das ist auch eine der möglichen Optionen der USA: Russland wieder in den Kreis der Großmächte aufzunehmen und so den Riss zwischen China und Russland zu verbreitern, eine strategische Triangel ist immer ein schwierig zu bespielendes Feld, politisch, wirtschaftlich und militärisch.

Das der Ukraine Krieg durch Verhandlungen beendet werden wird, und die Größe der Gebietsverluste der Ukraine lediglich durch die Militärleistungen des Westens definiert werden wird, war spätestens ab dem Augenblick klar, als der russische Vormarsch auf Kiew 30 km vor der Hauptstadt zusammenbrach. Dass das westliche strategische Kalkül, Russland durch Sanktionen, Verlust an Menschen und (militärischen) Material, Zermürbung und innenpolitischer Destabilisierung endgültig auf die Größe einer Mittelmacht zusammen zu stauchen, gescheitert ist, war in den westlichen Militärstäben seit weit mehr als einem Jahr klar, es fehlte nur der gemeinsame Wille (oder auch Fähigkeit) der westeuropäischen politischen Klasse, eine Strategieänderung zu postulieren, Trumps all in schafft insofern nur die Anerkennung einer Realität, die überfällig ist. Gleichzeitig zwingt er die Westeuropäer dazu, jetzt den Sprung in die Vorbereitung auf die Kriegswirtschaft zu realisieren, mit all ihren finanz-und gesellschaftspolitischen Folgen. In Deutschland die gigantische Neuverschuldung mithilfe einer Grundgesetzänderung, die mal so eben von einem eigentlich nur noch kommissarisch zuständigen Bundestag beschlossen werden wird. Wesentliche Teile des Infrastrukturprogramms, das bis zu einer halben Billion (!) Euro umfassen soll, sind eben Teil der Kriegsertüchtigung Deutschlands, dass die Tik Tok Fraktion der PdL dazu Beifall klatscht sagt genau das Wesentliche über die staatstragende Haltung dieser Partei aus, für die sogar die Szeneblase der Hauptstadt in den Wochen vor der Bundestagswahl Klinken putzen gegangen ist. Hinzu kommt die Erhöhung des Wehretats, der als einziger Haushaltstitel von der sogenannten Schuldenbremse ausgenommen werden soll, schon jetzt erreicht Deutschland dank des “Sondervermögens” den von der NATO geforderten 2 % Anteil der Militärausgaben am BIP, die gerade bekannt gewordenen neuen Zielvorgaben der NATO gehen allerdings von einer annähernden Verdopplung der Ausgaben auf 3,6 % des BIP aus. Was das für Verschiebungen im Bundeshaushalt bedeuten wird bei einem weiterhin bescheidenen Wirtschaftswachstum ist ebenso glasklar wie die überflüssige Frage, wo gespart werden wird. Querfinanzierung Renten – und Sozialleistungen, erhebliche Erhöhung von Steuern und Abgaben für Lohnabhängige, Sanktions – und Einsparungspolitik für die Empfänger von Transferleistungen,… Dazu kommt die Kriegsertüchtüchtigung von “Land und Leute” (Wiedereinführung der Wehrpflicht, Vorbereitung der medizinischen Versorgung für den “Ernstfall”, die “Krankenhausreform” bekommt so noch einmal eine ganz andere Stoßrichtung). Die letzten Jahre mit all der Ertüchtigung der wehrhaften Demokratie mit dem Probelauf eines allgemeinen Ausnahmezustandes (im Kontext der Corona Pandemie), die dreijährige Mobilisierung für den gerechten Krieg der Ukraine, die permanente Hetze gegen die Fremden und Sozialschmarotzer haben ihre tiefen Spuren in den Massen hinterlassen. Über Dreiviertel halten in jüngsten Umfragen die umfassende Kriegsertüchtigung Deutschlands für begrüßenswert. Die Frage nach deutschen Atomwaffen wird unvermeidlich als nächstes aufgeworfen werden. Überall Entgrenzung und die generelle Tendenz zum Krieg.

Eine der spannendsten Diskussionen im Zusammenhang mit den Theorien über die Wurmlöcher in der Relativitätstheorie behandelt die Frage, ob diese, (vereinfacht ausgedrückt) im Prinzip extrem instabilen “Tunnel durch die Zeit” es erlauben würden, dass auch Objekte diese “bereisen” könnten. Im Prinzip nicht, aber… lautet das derzeitige wissenschaftliche Credo. Wenn wir jedoch die diversen überraschenden Wortmeldungen und Ereignisse der letzten Tage und Wochen Revue passieren lassen, kommen wir nicht um den Zweifel herum, dass die Zeiten anfangen durcheinander zu purzeln, sich Geschichten und Subjekte aus vergangenen Jahrzehnten in unser Hier und Jetzt mit einer Heftigkeit hineindrängen, dass wir zumindestens ihre anhaltende geschichtliche Relevanz nicht verneinen können.

Dazu gehört: Auf der einen Seite tourt derzeit eine ehemalige Militante der RAF, die sich nach dem Zusammenbruch der DDR, wohin sie “aus der RAF” emigrierte, der BAW als Kronzeugin andiente (weshalb sie trotz einer Verurteilung im Zusammenhang mit dem Tod von Schleyer nur 5 Jahre im Knast saß), mit einer autobiografischen Erzählung durch die Lande und kaum ein wichtiges Medium, dass ihr keinen Raum einräumt, und mit Genugtuung ihren Satz kolportiert, dass “die RAF am Ende genauso schlimm wie die SS geworden sei”. Auf der anderen Seite unternimmt ein anderer ehemaliger Militanter der RAF (während nach der Festnahme von Daniela Klette eine intensive bundesweite Fahndung nach ihm läuft) den ehrenwerten Versuch (1) quasi im Alleingang die Geschichte der RAF, ihre geschichtliche Verortung, ihre Erfahrungen, ihre Fehler aufzuarbeiten. Eine Herkulesaufgabe, die bisher, 30 Jahre nach der letzten Aktion der RAF, nur einige Wenige der ehemaligen Mitglieder der RAF, bruchstückhaft unternommen haben, wenn man von den diversen, autobiografischen Auskünften, meist in Form von Büchern und Interviews, absieht.

Jenseits der zahlreichen, notwendigen Anmerkungen, Kritiken und anderen Sichtweisen auf die Geschichte der RAF von Anfang der 70er bis zu ihrer Auflösung 1998 (die an anderer Stelle und in anderem Kontext erfolgen sollten) ist im Rahmen dieser Abhandlung der mögliche Sprung “durch die Zeit” von Bedeutung. In diesem historischen Momentum, in dem die Weichen für den Übergang vom permanenten Ausnahmezustand zum permanenten (latenten) Kriegszustand gestellt werden, drängt ein alter realer Antagonismus wieder in den Diskurs. Und so richtig die Kritik von Burkhard Garweg an der “zunehmenden Militarisierung der Politik der RAF” ist, so unmittelbar ergibt sich die Möglichkeit in den Diskurs einzudringen, ihn dazu zu zwingen, die Positionen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, eben aus der Tatsache, dass die RAF dem deutschen Staat in unerbitterlicher Feindschaft bewaffnet gegenüber stand. Die bittere Wahrheit ist aber auch, dass nun, da wir praktisch unbewaffnet dastehen, uns auch viele theoretische Waffen abhanden gekommen sind. Und der alte Antagonismus, der zu uns durch die Zeit springt, nicht nur die realen Waffen gestreckt, sondern auch theoretisch unbewaffnet zu uns stößt. Die Aktion gegen den im Bau befindlichen Knast von Weiterstadt, die letzte Aktion der RAF, bei der der gesamte Bau buchstäblich in die Luft gejagt wurde, war praktisch vielleicht die gelungenste Aktion der RAF, die Erklärung dazu wimmelte jedoch von linken Allgemeinplätzen und vagen Formulierungen, das ganze wirkte geradezu wie eine sprachliche und begriffliche Anbiederung an eine autonome Szene, die sich zu diesem Zeitpunkt schon lange selbst von jeglicher gesellschaftlichen Relevanz und Verortung verabschiedet hatte. Es handelte sich bei Weiterstadt mitnichten um eine Rückkehr zur “Propaganda der Tat, jener Vorstellung revolutionärer Praxis aus der Geschichte der anarchistischen Bewegung. Damit war sie in ihrer Rückkehr zu einem Handeln innerhalb des gesellschaftlichen Verhältnisses angemessen populistisch im besten Sinne” wie Burkhard Garweg schreibt. Die RAF konnte mit dieser “neuen Linie” auch keine neue Verankerung, zumindestens in der anarchistischen und autonomen Linken, herbeiführen. Der überfällige Weg der Auflösung der “Projektes” RAF erfolgte dann auch folgerichtig wenig später.

Bei aller aufrichtigen Dankbarkeit für den umfangreichen Versuch, die Geschichte der RAF, kritisch beleuchtet, umfangreich aufzuschreiben, scheitert der Text von Burkhard Garweg an der Behauptung seines eigenen in der Einleitung fixierten Anspruches: “Die Möglichkeit eines historischen Moments ist jetzt – Zur Geschichte der RAF und der Frage der Rekonstruktion einer antikapitalistischen, sozialrevolutionären, antipatriarchalen und internationalistischen Bewegung in der heutigen Zeit.” Ohne jeglichen Bezug zu den Diskussionen der letzten 15 Jahre, vom “Kommenden Aufstand” über den sogenannten “arabischen Frühling”, die lange Abfolge der weltweiten Revolten, die Reflexionen über die Veränderungen der Klassenzusammensetzung, die Bedeutung der Bewegung der Gilets Jaunes “im Herzen der Bestie”, die Entdeckung und theoretische Unterfütterung der “Non-Bewegungen”, verharren seine Zeilen im Schlußkapitel zum “Heute” im Gestus einer identitären Szenelinken, die sich historisch schon lange überlebt hat. Der alte Antagonismus springt zu uns durch die Zeit, die wertvollen Erfahrungen müssen aber in einem anderen Kontext im Widerschein der heutigen Konfliktualität diskutiert werden, um daraus etwas machen zu können, womit sich die heutigen und zukünftigen Kämpfe “bewaffnen können”. Wenn wir nach Italien schauen, was Burkhard Garweg ja in seinem Text auch mehrmals tut, so sehen wir dort wirkliche Ansätze einer generationsübergreifenden Debatte über den “alten Antagonismus” und dem, was er Werkzeug sein kann, um die Gegenwärtigkeit der sozialen Konfliktualität zu begreifen und in ihr zu intervenieren.

Die allgegenwärtige Tendenz zum Krieg, der Zusammenhang mit der Verwertungskrise des Kapitals, der Versuch dagegen überhaupt Fundamentalopposition zu entwickeln, sind seit Jahren Diskussion bei den italienischen Gefährten. Von den Jungen bis zu denen, die ehemals illegal und bewaffnet organisiert waren. Die wirkliche Stärke der RAF war immer der Horizont, den sie durch ihre Existenz aufgezeichnet hat. Die Frage der Organisierung von Gegenmacht. Um nicht weniger geht es heute immer noch, im Angesicht der weiter oben angerissenen Epoche der allgegenwärtigen Tendenz zum Krieg dringlicher denn je.

Freiheit und Glückauf für alle gesuchten und gefangenen Gefährten.

Sebastian Lotzer, aus dem Nebel des Orion – 8. März 2025

(1) Der Text von Burkhard Garweg ursprünglich veröffentlicht im Neuen Deutschland
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189554.raf-burkhard-garweg-moeglichkeit-eines-historischen-moments.html

Dieser Text wurde zuerst auf non milleplateaux veröffentlicht

https://non-milleplateaux.de/wurmlocher-des-antagonismus-part-i-polykrise-und-hybris/

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