Solidarität über Mauern und Grenzen hinweg
Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V., Ende Januar 2025
„Wenn ich mit anderen Linken solidarisch bin, heißt das nicht, dass ich immer alles gut finde, was sie tun. Aber für ihr Recht darauf stehe ich ein.“
So brachte die im vergangenen Jahr verstorbene Journalistin, Feministin und ehemalige politische Gefangene Ingrid Strobl schon 2019 anlässlich der „Solidarität verbindet!“-Kampagne eindrucksvoll auf den Punkt, was die Rote Hilfe e. V. als Organisation ausmacht. Die sich aus unserem strömungsübergreifenden Ansatz notwendigerweise ergeben- die Vielfalt an Überzeugungen und Positionen birgt immer wieder erhebliches innerlinkes Konfliktpotenzial. Zweifelsohne ist er jedoch auch eine unabdingbare Voraussetzung dauerhaft wirksamer Antirepressionsbemühungen. Ohne den Anspruch, die Linke der BRD in ihrer Gesamtheit zu vertreten, wären wir womöglich schon längst von der politischen Bildfläche verschwunden. Stattdessen haben wir 2024 unser einhundertjähriges Bestehen feiern können.
Das große Jubiläum bot aber keinesfalls nur Anlass zur Freude, denn im Gegensatz zu den Herrschenden arbeitet die Rote Hilfe letztlich an ihrer eigenen Abschaffung und unterstützt konsequent das Eintreten für gesellschaftliche Verhältnisse, in denen es ihrer Aktivitäten nicht länger bedarf.
Von solchen Zuständen sind wir natürlich noch weit entfernt. Ein wesentlicher Gradmesser für Ausmaß und Qualität staatlicher Repression ist stets die Situation politischer Gefangener.
Von den 2024 mit massiven Repressalien konfrontierten Genoss*innen, die unsere Unterstützung dringend benötigten, seien exemplarisch nur einige wenige kurz erwähnt: Mehr als ein Vierteljahrhundert nach Selbstauflösung der RAF ohne Gegenwehr festgenommen, sieht sich Daniela Klette nun bereits seit über einem Jahr Haftbedingungen ausgesetzt, als befänden wir uns inmitten des Deutschen Herbstes 1977.
Ende Juni 2024 wurde die nichtbinäre Person Maja entgegen einer ausstehenden einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichtes in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an den für menschenverachtende Vollzugspraktiken berüchtigten Justizapparat des autoritären, queerfeindlichen ungarischen Staates ausgeliefert. Mehreren weiteren Beschuldigten im „Budapest-Komplex“, unter ihnen sieben Genoss*innen, die sich am 20. Januar 2025 freiwillig den BRD-Verfolgungsbehörden stellten, droht ein vergleichbares Schicksal. Der Vorwurf: Sie alle sollen 2023 in Angriffe auf Teilnehmer eines neonazistischen Aufmarsches involviert gewesen sein.
Der Stuttgarter Antifaschist Nico musste im August aufgrund seiner angeblichen Teilnahme an polizeikritischen Protesten eine dreijährige Freiheitsstrafe antreten.
Ende November verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf die antiimperialistischen Aktivist*innen Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli auf Basis des Gesinnungsparagrafen 129b StGB wegen eines behaupteten Engagements für die in der BRD verbotene türkische Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) jeweils zu mehrjährigen Haftstrafen.
Und die Zahl der kurdischen Aktivist*innen, die unter dem Vorwurf der PKK-Mitgliedschaft in Deutschland in Untersuchungshaft sitzen oder zu langen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, hat einen neuen Höchststand erreicht.
An diese und etliche andere inhaftierte Genoss*innen erinnert die Rote Hilfe an jedem 18. März, dem Tag der politischen Gefangenen. Letzterer geht zurück auf den epochalen Aufstand und die überaus brutale Niederschlagung der Pariser Kommune 1871. Bemerkenswerterweise entsprang die gegenüber den Kommunard*innen einst entfachte Gewalt und Unterdrückung einer reaktionären Kollaboration der eigentlich verfeindeten Parteien des Deutsch-Französischen Krieges. So verfügte Reichskanzler Bismarck die Freilassung zehntausender Kriegsgefangener der gegnerischen Seite. Das aber ermöglichte Frankreichs Regierungstruppen erst eine in blutige Gemetzel mündende militärische Offensive gegen die sozialrevolutionäre Kommune.
Es existiert somit eine lange Geschichte länderübergreifender Allianzen staatlicher Unterdrückung, in die sich die erwähnte deutsch-ungarische Zusammenarbeit im Budapest-Komplex nahtlos einfügt – ebenso wie die internationale Verfolgung der kurdischen Linken. Mit dem weltweit zu konstatierenden Erstarken extrem rechter Kräfte inklusive der entsprechenden Regierungsübernahmen etwa in Italien oder den USA steht fest: Wir dürften in dieser Hinsicht noch manch weitere konzertierte Repression reaktionärer Regime und ihrer Unterstützungsnetz werke zu erwarten haben.
Die umso größere Bedeutung grenzübergreifender Solidaritätsstrukturen spiegelt die kürzlich erfolgte Umwandlung der lebenslangen Freiheitsstrafe des indigenen Aktivisten Leonard Peltier in Hausarrest nach fast fünfzigjähriger Inhaftierung wider: Sicherlich war die Entscheidung des schei-denden US-Präsidenten Biden nicht zuletzt das erfreuliche Ergebnis einer intensiven und kontinuierlichen Kampagnenarbeit.
Bereits 1923 erklärte die Internationale Rote Hilfe den 18. März zum „Internationalen Tag der Hilfe für die politischen Gefangenen“. Die Rote Hilfe e. V. beteiligt sich seit 1996 an diesem mittlerweile von diversen politischen Gruppen getragenen Aktionstag für die Freiheit der politischen Gefangenen, unter anderem durch die Herausgabe einer Sonderzeitung.
Die Vielfalt der dieses Jahr behandelten Themen bildet die enormen Herausforderungen, Aufgaben und Kämpfe unserer Organisation sowie internationaler Solidaritätsstrukturen der Linken ab. Neben den schon angerissenen Themenfeldern werden dieses Mal zum Beispiel die Tätigkeit des Solikreises Stuttgart, die empörende Verfolgung als PKK-Anhänger*innen geltender Genoss*innen und die im Kontext des Antifa-Ost-Verfahrens ausgeübte
Repression beleuchtet. Auch das Baskenland, Griechenland, Belarus, den Iran, die Türkei, Israel, die USA, El Salvador und Mexiko betreffende Entwicklungen werden aufgegriffen.
Wir danken der Redaktionsgruppe und den Autor*innen der Artikel herzlich für ihren Einsatz und hoffen, dass die Texte nicht nur euer Interesse finden, sondern darüber hinaus als Ansporn dienen,
euch gemeinsam mit Freund*innen und Genoss*innen in die zahlreichen Aktivitäten und Veranstaltungen rund um den diesjährigen 18. März einzubringen oder vor Ort eigene zu initiieren. Verbreiten wir auch und gerade in schwierigen politischen Zeiten lautstark und unüberhörbar die Botschaft der linken Solidarität, denn um abschließend noch einmal Ingrid Strobl zu zitieren: „Linke kämpfen nicht für sich allein, sondern zusammen und für alle.“