Baden-Württemberg: Massenüberwachung und Datensammelwahn
In den Ländern Baden-Württemberg und Berlin sind Gesetzesänderungen geplant in Bezug auf Ausbau von Videoüberwachung. Dazu gehört unter anderem ein erleichterter Zugriff des Verfassungsschutzes auf Überwachungskameras an öffentlichen Orten.
In Baden-Württemberg sollen die Hürden für die Installation von Kameras gesenkt werden, zusätzlich soll künftig der Verfassungsschutz auf private Aufnahmen zugreifen dürfen. Die Erleichterung des Aufbau und Betriebs von Videoüberwachungssystemen strebt dabei die Landesregierung von Baden-Württemberg aus CDU und Grüne mit einer Novelle des Landesdatenschutzgesetzes an. Dabei sollen Behörden Videomaterial bis zu zwei Monate lang speichern dürfen.
Die Planungen rund um die Gesetzesänderung scheinen dabei auch im Zusammenhang mit dem Test von Verhaltenserkennungssoftware zu stehen, der in Mannheim bereits seit mehreren Jahren läuft. In Mannheim stößt die Stadt immer wieder an ihre Grenzen, denn Areale, die sie gerne überwachen würde, werden meist nicht oder nicht mehr als besonders kriminalitätsbelastet eingestuft. Nach geltendem Recht macht dies die Videoüberwachung unmöglich.
Zu der Erleichterung in Bezug auf Videoüberwachung will die baden-württembergische Landesregierung dabei jedoch dem Verfassungsschutz zusätzlich Zugriff auf private Kamerastreams gewähren. Egal ob Tiefgaragen oder Einkaufszentren, der Geheimdienst hätte damit die Möglichkeit, sämtliche Orte des öffentlichen Lebens zu überwachen. Besonders praktisch ist hierbei, dass der Verfassungsschutz dabei nicht einmal eigene Systeme an den Orten installieren müsste.
Besonders begeistert von der KI-gestützten Videoüberwachung ist hier Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). Bei der Vorstellung des Gesetzesbündels meinte Strobl, dass sich viele Kommunen eine juristische Vereinfachung des Videoüberwachungsanlagen-Aufbaus gewünscht hätten. Die Zahl der überwachten Areale in Baden-Württemberg wird demnach künftig wohl deutlich steigen.
Von Bus und Bahn zum Verfassungsschutz – Fachleute äußern Bedenken in Berlin
Ähnlich sieht es in Berlin aus. Es sollen neue Regelungen für den Berliner Verfassungsschutz beschlossen werden. Ginge es nach dem schwarz-roten Senat, dürfte dieser – um Menschen zu observieren – auch live auf Videoüberwachung sämtlicher öffentlicher Orte zugreifen. Dies wird jedoch von einigen Fachleuten als verfassungswidrig eingestuft.
Bereits im Mai legte die schwarz-rote Landesregierung einen Gesetzentwurf dem Berliner Abgeordnetenhaus vor. Diesen Montag waren Sachverständige im Verfassungsschutz-Ausschuss des Landesparlaments und äußerten verfassungsrechtliche Bedenken. Auch hier war die geplante Neuregelung zur Videoüberwachung für die Fachleute besonders bedenklich. Der neue Observationen-Paragraf sieht vor, dass Betreiber:innen von Videoüberwachungsanlagen der Verpflichtung unterzogen sein könnten, „die Überwachung auszuleiten und Aufzeichnungen zu übermitteln“. Das beträfe Überwachungskameras an „öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen“ sowie in „Fahrzeugen und öffentlich zugänglichen großflächigen Einrichtungen des öffentlichen Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs“.
Findet demnach eine Observation einer Person durch den Verfassungsschutz statt, könnte sich dieser im Zweifel Live-Zugang zu den Überwachungskameras eines Einkaufszentrums, einer S-Bahn, dem Besucherbereich einer Arztpraxis oder Krankenhauseingängen uvm. geben lassen. In einer Stellungnahme des Juristen David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) stuft er dies als klar verfassungswidrig ein. Denn bei einer solchen Maßnahme wären regelmäßig unzählige Menschen betroffen, die nicht im Visier des Inlandsgeheimdienstes stehen. „Wer sich in Berlin im öffentlichen Raum bewegt, müsste daher künftig permanent damit rechnen, durch den Inlandsgeheimdienst beobachtet zu werden“, so Werdermann. „Die Befugnis ermöglicht eine nahezu durchgängige Rundumüberwachung aus der Ferne.“
Das schreibt auch die Berliner Landesdatenschutzbeauftragte Meike Kamp. Im Gegensatz zu klassischen Observationen gehe es beim Zugriff auf die Videoüberwachungseinrichtungen auch privaten Stellen um „deutlich eingriffsintensivere Maßnahmen, für die strengere Maßstäbe und gesetzliche Erfordernisse gelten“. Auf der anderen Seite ist die Regelung des Auskunftsanspruchs für Betroffene im neuen Gesetz sehr begrenzt dargestellt. Denn wer in Zukunft vom Berliner Verfassungsschutz wissen wollen würde, ob Daten zu einem Selbst vorliegen, soll dabei auf „einen konkreten Sachverhalt“ hinweisen und „ein berechtigtes Interesse an der Auskunft“ erklären. Das heißt, dadurch müsste die Person sich wohl teils selbst bezichtigen, warum sie für den Berliner Verfassungsschutz interessant sein könnte.
Protest gegen Palantir
Doch die Erweiterung der Rechte im Bezug auf Einsatz und Verwendung von Videoüberwachung bleibt nicht die einzige kritische Entwicklung in diesem Sektor. Viele Bürger:innen machen sich Gedanken um den Einsatz der Software Palantir in Deutschland. Ein Unternehmen mit engen Beziehungen zu US-Geheimdiensten, in dem zudem Peter Thiel, ein enger Vertrauter Donald Trumps eine entscheidende Rolle spielt. Dieses soll weitgehenden Zugriff auf polizeiliche Datenbanken bekommen. Dabei lehnen etwa zwei Drittel der Deutschen den Einsatz der Big-Data-Software von Palantir ab, bereits Hunderttausende haben eine Petition von Campact unterschrieben.
Daher formt sich jetzt erstmals ein Protest gegen den Einsatz von Palantir. Ein „Bündnis für Grundrechtsschutz durch vertrauenswürdige und eigenständige Polizei-IT“ hat angekündigt, am Samstag, dem 4. Oktober, in Stuttgart am Schlossplatz gegen den Einsatz von Thiels Software in Baden-Württemberg zu demonstrieren. Die Mobilisierung des Bündnisses reicht auch weiterhin zu einer Petition gegen den Palantir-Einsatz im Südwesten.






