Smart City, Transhumanismus und Alternativen Irrweg Digitalisierung
In seinem Beitrag „Digitale Werkzeuge“ kritisiert George C. Caffentzis, dass der „Stellenwert digitaler Werkzeuge in der sozialen Produktion und in sozialen Kämpfen von Bewegungen für soziale Gerechtigkeit“ zu wenig thematisiert wird.
Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag, den ich am 9. Juni 2024 im Rahmen eines Workshops beim „Forum Recht auf Stadt“ in Berlin gehalten habe. Dabei beziehe ich mich im Wesentlichen auf einige Texte aus dem Buch „Pluriversum – Ein Lexikon des Guten Lebens für Alle“ [1], die ich durch Zitate von zwei weiteren Autor*innen im Text sowie weiterführende Hinweise in den Fussnoten unter dem Text ergänze.
Digitalisierung
Sämtliche Lebensbereiche werden zunehmend digitalisiert, auch politischer Aktivismus ist ohne die Nutzung digitaler Infrastrukturen kaum noch vorstellbar. Manche feiern das Internet als Commons, selbst Wikipedia wird immer wieder als Beispiel für weltweites freiwilliges Engagement genannt, trotz aller Berichte über Machtstrukturen und Lobbyeinflüsse [2]. In seinem Pluriversum-Beitrag „Digitale Werkzeuge“ [3] kritisiert George C. Caffentzis, dass der „Stellenwert digitaler Werkzeuge in der sozialen Produktion und in sozialen Kämpfen von Bewegungen für soziale Gerechtigkeit“ zu wenig thematisiert wird. Stattdessen werde „die digitale Technologie unkritisch als zentrales Organisationselement gepriesen, das Aktivist*innen auf der ganzen Welt verbindet“. In Anlehnung an den bekannten Begriff „Blutdiamanten“ spricht er von „Blutcomputern“, wegen der „Blutspur, die die Computerproduktion nach sich zieht“ und betont, dass es keine „konfliktfreien“ Telefone oder Computer gibt. Beispielsweise tragen im Kongo Digitalkonzernen und Milizen die Verantwortung für millionenfache Vertreibung und Ermordung, in China begehen Arbeiter*innen in der Elektronikindustrie Selbstmord wegen der ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Die Digital-Produktion beruht „auf der Zerstörung vieler natürlicher Commons, der Enteignung und toxischen Verseuchung riesiger Landstriche und der Vertreibung oder Ermordung derjenigen, die einst dort lebten“. Hinzu kommt, dass elektronische Geräte immer kleiner werden und es dadurch immer schwieriger wird, die Materialien zu trennen und zu recyceln. Caffentzis ist überzeugt, dass die kapitalistische Technologie geschaffen wurde, „um die Arbeiterklasse zu kontrollieren und bestehende Organisationsformen an der Basis des Widerstands der Arbeiterklasse zu zerstören.“ Die Digitalisierung, die eine Spur der Zerstörung hinterlasse, könne „nicht einfach angeeignet und auf andere Ziele ausgerichtet werden.“
Militarisierung
Hier möchte ich ergänzend den Digital-Pionier Joseph Weizenbaum (1923-2008) zitieren, der am MIT (Massachusetts Institute of Technology) forschte und lehrte. Nachdem er in den 1960er Jahren das Computer-Programm ELIZA entwickelt hatte – eine Spracherkennungs-Software, mit der ein therapeutisches Gespräch simuliert werden konnte – sah er die Digitalisierung immer kritischer. So schrieb er beispielsweise: „Es ist einfach eine Tatsache, dass der Computer im Krieg geboren wurde und dass fast alle Forschungen und Entwicklungen des Computers vom Militär und zwar fast ausschliesslich vom Militär unterstützt wurden und heute noch werden. ... Man kann nicht einfach sagen, der Computer kann für etwas Böses und für etwas Gutes benutzt werden und der Computer selbst ist wertfrei. In unserer Gesellschaft ist der Computer zuallererst ein Instrument, das für militärische Zwecke eingesetzt wird.“ [4].
Smart City
Die Smartwerdung der Stadt umfasst das Wohnen, den Verkehr und die Versorgung/Logistik sowie öffentliche Verwaltung und Sicherheit, auch die Gesundheitsversorgung und die gesamte Kommunikation etc. Um all dies digital zu steuern, werden riesige Datenmengen erfasst und ausgewertet. Europa sei ein Vorreiter, schreibt Hug March in seinem Pluriversum-Beitrag „Smart Cities“ [5] und nennt als Beispiele Amsterdam und Barcelona. Meist würden bestehende Gebäude mit einer „digitalen Haut“ versehen. Auf anderen Kontinenten würden Smart Cities neu errichtet, beispielsweise in Masdar (Arabische Emirate) und Songdo (Südkorea). Das Smart City-Konzept präge „auch die Städtedebatten im Globalen Süden“. So umfasse die „Smart-Cities-Mission in Indien“ mehr als 100 Projekte, und auch die afrikanische Stadtentwicklung würde davon beeinflusst. Entgegen der Versprechungen, in Smart Cities würden Ressourcen optimal genutzt und Emissionen vermindert, sieht March eine Reihe von Gefahren. Technologischen Lösungen attestiert er eine „entpolitisierte Grossspurigkeit“, wenn „das Streben nach sozialer und ökologischer Gerechtigkeit“ und das „Recht auf Stadt“ ersetzt würden durch „das Streben nach Demokratisierung der Technologie.“ Ungleiche Machtverhältnisse würden verstärkt, soziale Unterschiede und Ausschlüsse nähmen zu. Die Smart City sei „ein Motor zur Beschleunigung des Kapitalverkehrs und der Renditen-Abschöpfung durch und für private Unternehmen“ und durch die Monopolkontrolle über smarte Technologien könnte „die Verwirklichung alternativer, egalitärer sozial-technischer Veränderungen verhindert“ werden. Ausserdem sei die Smart City ein „Schritt in Richtung einer städtischen Dystopie der totalen Überwachung und einer Verlagerung hin zu einer autoritären Stadtverwaltung“. Allerdings spricht sich March nicht so kategorisch gegen die Digitalisierung aus wie Caffentzis, sondern räumt ein, dass „eine progressive, von unten entwickelte und emanzipatorische Subversion der Smart-City-Technologien und IKT machbar“ und „für einen Post-Wachstums-Wandel interessant“ sein könne. Bedingung sei jedoch, dass sie „im Rahmen einer Open-Source-Logik von Genossenschaften, kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) oder gemeinnützigen Organisationen entwickelt und unter demokratischer öffentlicher Kontrolle gehalten würden.“
Zum Beispiel China
Zur Illustration zitiere ich im Folgenden einige Passagen aus der Laudatio, die Rena Tangens vom Verein Digitalcourage 2018 anlässlich der Vergabe des Schmähpreises „Big Brother Award“ an das Konzept der Smart City gehalten hat [6]: „'Smart Cities' reduzieren Bürger auf ihre Eigenschaft als Konsumenten, machen Konsumenten zu datenliefernden Objekten und unsere Demokratie zu einer privatisierten Dienstleistung. Eine ‚Smart City' ist die perfekte Verbindung des totalitären Überwachungsstaates aus George Orwells '1984' und den normierten, nur scheinbar freien Konsumenten in Aldous Huxleys ‚Schöne Neue Welt'. Der Begriff ‚Smart City' ist eine schillernd-bunte Wundertüte – er verspricht allen das, was sie hören wollen: Innovation und modernes Stadtmarketing, effiziente Verwaltung und Bürgerbeteiligung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Sicherheit und Bequemlichkeit, für Autos grüne Welle und immer einen freien Parkplatz.“ Als Beispiel beschreibt sie eine „smarte“ Strassenlaterne: „Die leuchtet nicht nur, sondern enthält auch gleich Videoüberwachung, Fussgänger-Erkennung, Kfz-Kennzeichenleser, Umweltsensoren, ein Mikrophon mit Schuss-Detektor und einen Location-Beacon zum Erfassen der Position. Stellen wir uns dies noch kombiniert mit WLAN vor, mit dem die Position von Smartphones ermittelt werden kann, Gesichtserkennung und Bewegungsanalyse, dann ist klar: Wenn diese Technik in unsere Stadt kommt, werden wir keinen Schritt mehr unbeobachtet tun.“ Sie beschreibt auch, wie das in China bereits umgesetzt wird: „In Shenzhen, der südchinesischen Sonderwirtschaftszone in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hongkong, werden Menschen, die bei Rot über die Strasse gehen, identifiziert und sogleich auf grossen Monitoren mit Angabe ihrer Personalien an den Pranger gestellt, es wird ein Bussgeld berechnet und der Arbeitgeber benachrichtigt. Ausserdem gibt es Punktabzug bei ihrem ‚Social Score', der darüber entscheidet, ob sie eine Wohnung, einen Job, einen Studienplatz bekommen. Die ganze Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas ist inzwischen ein Echtzeit-Labor für Massenüberwachung. Dort werden von der gesamten Bevölkerung zwischen 12 und 65 Jahren DNS und Blutgruppe getestet, Iris-Scans, Fingerabdrücke und 3D-Bilder erstellt – im Rahmen einer sogenannten ‚kostenlosen Gesundheitsuntersuchung'.“
Transhumanismus
Der Transhumanismus geht noch einen Schritt weiter als die Smart City, indem er Mensch und digital gesteuerte Maschine miteinander verschmelzen lassen möchte. Die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ suggeriert, Maschinen könnten zu etwas Menschlichem imstande sein. Mitunter wird sogar behauptet, Roboter könnten Gefühle haben und bräuchten eigene Rechte [7]. Luke Novak zählt in seinem Pluriversum-Beitrag „Transhumanismus“ [8] folgende Werkzeuge für die Weiterentwicklung des Menschen mit technischen Mitteln auf: „Gentechnik, künstliche Befruchtung, Klonen, Keimbahntherapie, künstliche Intelligenz (KI) sowie die letztlich vollständige Verschmelzung von Maschinen und Menschen, die so genannte Singularität.“ Die Haupt-Protagonisten transhumanistischer Ideen sind Ray Kurzweil (Google) und Larry Page (Alphabet Inc.). Transhumanisten sehen die Biologie als schwach und unzureichend an, darum wollen sie diese überwinden und die „Kontrolle über die natürlichen Evolutionsprozesse“ übernehmen. Sie warnen selbst davor, dass die Welt eines Tages „von superintelligenten KI-Erfindungen beherrscht wird“ und argumentieren, gerade darum müssten die „Menschen selbst transhuman werden“. Der Autor verweist auf den Soziologen Nick Bostrom, der „den Begriff ‚existenzielles Risiko' eingeführt“ hat und konstatiert: „Die Risiken, vor denen die Transhumanisten die Welt schützen wollen, sind jedoch dieselben Risiken, die durch ihre Lösungen hervorgerufen würden.“
Uterusneid und Entmenschlichung
An dieser Stelle möchte ich noch einmal Joseph Weizenbaum zitieren, der zur „Künstlichen Intelligenz“ sagte: „Mir scheint hier nicht nur der Wahn, Gott zu spielen, sondern auch der Neid auf die Frauen und ihre Fähigkeit, Kinder zu gebären, als ein treibendes Motiv. Was hier zum Ausdruck kommt, würde ich als Uterusneid bezeichnen. … Man tut nun so, als könne man auch Kinder hervorbringen – nur sind diese eben, wie man verbreitet, besser und intelligenter als jedes menschliche Wesen.“ Zum damit verbundenen Menschenbild sagte er: „Es basiert auf der Vorstellung, der Mensch sei eine Maschine, die man im Prinzip und in naher Zukunft verstehen und entschlüsseln könne, um sie dann entsprechend zu korrigieren und zu verbessern. … Wir können aus der Geschichte dieses Jahrhunderts, vielleicht des brutalsten Jahrhunderts, lernen, welche entscheidende Rolle das Menschenbild in den Verbrechen der Vergangenheit spielte. Und wir müssen uns daran erinnern, dass die grausamsten Verbrechen möglich wurden, weil die Täter das Menschsein der Opfer leugneten. In der NS-Zeit stellte man Juden als Ungeziefer dar – eine Metapher, die den Massenmord legitimierte. Heute gewinnt, unterstützt durch die Autorität der Naturwissenschaften, die Vorstellung an Substanz und Macht, der Mensch sei lediglich eine informationsverarbeitende Maschine, die von einem Roboter ersetzt werden könne. … Diese Metaphern vernichten die Ehrfurcht vor dem Menschen; sie lassen sein mögliches Ende erträglich erscheinen.“ [9]
Das Pluriversum als Alternative zu Fortschritt und Entwicklung
Smart City und Transhumanismus sind keine technischen Themen, sondern gesellschaftliche. Dabei geht es um machtvolle Interessen, denn die totale Digitalisierung ist ein profitables Geschäftsfeld mit zerstörerischen Auswirkungen auf Menschen und Natur. Darin zeigen sich Aspekte der schlimmsten Auswüchse patriarchaler Machbarkeitsphantasien der Herrschaft über alles Lebendige. Demgegenüber widersetzt sich das Pluriversum den gleichmachenden Vorstellungen von Fortschritt und Entwicklung. Es ist „eine Welt, in die viele Welten passen“, wie es die Zapatistas sagen. Die Herausgeber*innen des Pluriversum-Lexikons Ashish Kothari, Ariel Salleh, Arturo Escobar, Federico Demaria und Alberto Acosta formulieren in ihrem Einleitungsbeitrag „Pluriverse Wege finden“ [10] eine grundlegende Kritik an Fortschritt und Entwicklung, Moderne und Universalismus. Diese Ideen und Praxen seien gekennzeichnet durch den „Glaube an die Unabhängigkeit des Einzelnen vom Kollektiv und an das Privateigentum, freie Märkte, politischen Liberalismus, Säkularismus sowie an die repräsentative Demokratie.“ Die dies vertreten hätten eine „Vorstellung von der Wissenschaft als der einzigen verlässlichen Wahrheit und dem Vorboten des ‚Fortschritts'“ und hingen einem Anthropozentrismus und dem Glauben an einen väterlichen Gott an. Diese Ideen entwickelten „sich zu einer philosophischen Haltung, die den Menschen gegen die Natur ausspielt“. Ihre Grundlagen seien ideologische Kategorien und Dualismen, vor allem sähen sie eine „Kluft zwischen Subjekt und Objekt, Geist und Körper, männlich und weiblich, zivilisiert und barbarisch.“ Statt solcher maskulinistischen Herrschaftskultur und Kolonialität ginge es jedoch darum, dass die Menschen „Frieden mit der Erde und miteinander“ schliessen. Mit dem Begriff Pluriversum stellen die Herausgeber*innen „das Konzept der Universalität in Frage, das für die eurozentrische Moderne zentral ist.“ Sie betonen, das Pluriversum sei „nicht nur ein modisches Konzept, es ist eine gelebte Praxis.“ In dieser Praxis ginge es um das Bemühen, ein Gleichgewicht zu schaffen „zwischen individuellen und gemeinschaftlichen Bedürfnissen“. Sie folge „dem Prinzip, jetzt bereits die Grundlagen für die Welten zu schaffen, die wir in der Zukunft verwirklicht sehen wollen; sie impliziert eine Übereinstimmung von Mitteln und Zielen.“ Ihr Buch verstehen sie „als Einladung zur Erforschung dessen, was wir als beziehungsorientierte ‚Arten des Seins' betrachten“. Sie möchten ihre marxistische Analyse „durch Perspektiven wie Feminismus und Ökologie sowie durch Vorstellungen aus dem globalen Süden, einschliesslich gandhianischer Ideale“ ergänzen.
Konvivialität
Der Begriff Konvivialiät wird hier im Sinne des kulturkritischen Wissenschaftlers Ivan Illich (1926-2002) verwendet, der ihm mit seinem Buch „Tools for Conviviality“ [11] 1973 eine neue Bedeutung gab. David Barkin zitiert in seinem Pluriversum-Beitrag „Konvivialität“ [12] Illich, der darunter „eine moderne Gesellschaft mit verantwortungsvoll begrenzten Werkzeugen“ verstand. Für Illich habe dazu die Askese gehört, „eine Tugend, die nicht alle Freuden ausschliesst, sondern nur diejenigen, die von der persönlichen Verbundenheit ablenken oder sie zerstören“. Nach Barkin ist Konvivialität „ein offener Vorschlag für den Aufbau einer neuen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die die tiefgreifenden Beschränkungen unserer gegenwärtigen Welt überwindet, um sich auf einen Sozialismus zuzubewegen, der ‚eine Umkehrung unserer gegenwärtigen Institutionen und die Ersetzung industrieller Werkzeuge durch konviviale' erfordern würde.“ Er führt weiter aus, dass in einer konvivialen Welt „ein Gleichgewicht zwischen den Menschen, ihren Werkzeugen und dem Gemeinwesen gesucht werden“ müsse. Dafür sei „ein anderes Verständnis von Werkzeugen, Instrumenten und Institutionen“ erforderlich. Macht müsse begrenzt werden und zentral sei eine „Freiheit, die in der Wechselseitigkeit wurzelt“. Die Konvivialität müsse „unsere derzeitigen sozialen Strukturen und die Grenzen unseres Planeten berücksichtigen.“ Gemeinschaften könnten sich selbst verwalten und neue, demokratische Institutionen schaffen. Dazu gehöre die Anerkennung der Commons und die Verteidigung der Gemeingüter. [13]
Ökofeminismus
Viele Ideen und Praxen des Pluriversums verstehen sich ausdrücklich als feministisch. Der Ökofeminismus hat eine jahrzehntelange Tradition und sollte wieder viel stärker Eingang in politische Debatten finden. In ihrem Pluriversum-Beitrag „Ökofeminismus“ führt Christelle Terreblanche [14] aus, dass es Ökofeministinnen um „die historischen, materiellen und ideologischen Zusammenhänge“ geht, „die zwischen der Unterwerfung der Frau und der Beherrschung der Natur bestehen.“ Sie bezieht sich auf Carolyn Merchant, die 1980 das Buch „Der Tod der Natur. Ökologie, Frauen, und neuzeitliche Naturwissenschaft“ veröffentlichte [15]. Darin legte Merchant „die Entschlossenheit der Väter der Moderne offen, die reproduktive Souveränität der Frauen durch institutionalisierte Hexenjagden zu beherrschen. Das Fachwissen von Kräuterkundigen und Hebammen wurde durch einen ‚medizinischen Beruf' ersetzt, der die Natur und den Körper als ‚Maschinen' betrachtet.“ Terreblanche bezieht sich ebenfalls auf die Subsistenztheorie der Bielefelder Schule um Maria Mies [16], die „zeitgenössische Alternativen wie die lateinamerikanische indigene Weltanschauung des ‚Buen Vivir' oder des ‚Guten Lebens' und die jüngste europäische Aufmerksamkeit für De-Growth- und Solidarökonomien vorweggenommen“ hätten. Die oft ausgeblendete Reproduktionsarbeit stehe aus ökofeministischer Sicht „der kapitalistischen und marxistischen Aufwertung der Produktion und des Tauschwerts – als Motor der Akkumulation“ entgegen. Pluriversum-Mitherausgeberin Ariel Salleh fasse „die unerwähnten Reproduktionsarbeiter*innen – Frauen, Bauern und Indigene – in den Begriff einer weltweit mehrheitlich ‚meta-industriellen Klasse'“. In ihren Formen der Versorgung sähe sie eine „politische und materielle Antwort auf die Umweltkrise“ [17]. Ökofeministische Theorien würden zwar von der akademischen Linken aufgegriffen, jedoch bestehe „die Gefahr, dass die theoretischen Ansätze von Frauen in bestehende patriarchale Meta-Narrative umverpackt werden.“ Terreblanche betont, dass eine ökofeministische Politik darauf abzielt, „die menschliche Emanzipation durch regenerative Solidarökonomien auf der Grundlage des Teilens zu fördern. Sie stellt Komplexität vor Homogenität, Kooperation vor Wettbewerb, Gemeingüter vor Eigentum und Gebrauchswert vor Tauschwert.“ Damit habe sie das Potenzial, unterschiedliche Ansätze zu verbinden: „Ökofeminist*innen plädieren für ein Weltbild, das auf der Sorge für die Vielfalt aller Lebensformen beruht.“
Zur Diskussion
Dies ist ein Beitrag zu Technologien, die mit dem vollmundigen Versprechen propagiert werden, sie könnten mit technischen Eingriffen in menschliche Lebenswelten und in die Natur die bisherigen industriellen Zerstörungen wiedergutmachen. Die Digitalisierung ist der Kern und die Voraussetzung weiterer Scheinlösungen [18], wobei sich Aspekte transhumanistischer Ideen in all diesen Feldern finden, auch wenn sie nicht ausdrücklich benannt sind. Dieses Denken verachtet letztlich alles Lebendige und meint mit der Anmassung gottgleichen Allwissens, eine bessere als die natürliche Welt schaffen zu können. Dabei würde ich nicht unbedingt böses Wollen unterstellen, eher einen absoluten Willen und die Idee vom Machen um jeden Preis – letztlich jedoch eine Gewaltbereitschaft, die Bestandteil patriarchaler Allmachtsphantasien ist. Dies kommt zusammen mit nahezu grenzenlosem finanziellem Reichtum und einem vermeintlich unbegrenzten Zugriff auf Naturschätze, einem Verlust ethischer Leitplanken in der Wissenschaft, und politisch geschützten Experimentierfeldern. So besteht heute das Risiko, diesen Planeten zumindest für uns Menschen unbewohnbar zu machen, oder die Menschheit selbst durch technische Eingriffe auszurotten. Über das Konzept der Smart City und den Transhumanismus hinaus gehören zu diesem Handlungsfeld der potenziell lebensvernichtenden Eingriffe beispielsweise Geo-Engineering, Klimasmarte Landwirtschaft, Gen- und Reproduktionstechnologien sowie sämtliche Militärtechnologien. Schon heute spielt die Digitaltechnologie eine wesentliche Rolle in den Kriegen und beinhaltet unabsehbare Eskalationspotenziale. Wie konnte es dazu kommen, dass all dies vermeintlich normal geworden ist, ja dass es – zumindest in vielen Ländern des Globalen Nordens – als wünschenswert gilt, möglichst effiziente Methoden der Menschenvernichtung zu entwickeln? Einiges dazu findet sich ebenfalls im Pluriversum-Buch. Der Schwerpunkt des „Lexikon des Guten Lebens für alle“ liegt jedoch auf den lebensbejahenden Alternativen. Diese Alternativen schaffen andere gedankliche und reale Welten. Sie zeigen, dass ein Leben ohne patriarchale, rassistische, klassistische und jegliche weitere Ausprägungen von Ausschlüssen, Unterdrückung und Vernichtung möglich ist. Die Vielfalt dieser Alternativen gibt Hoffnung in diesen düsteren Zeiten [19]. Mit diesem Text möchte ich zu einem Austausch über „unseren“ Umgang mit Digitaltechnologien beitragen. Das Thema ist nicht neu, aber was die hier zitierten Autor*innen dazu formulieren, wirft vielerlei Fragen auf, von denen ich mir Impulse für weiterführende Diskussionen über Perspektiven im „Kampf um die Köpfe“ und für alltägliche Widerständigkeiten verspreche.
Elisabeth Voß
[1] Ashish Kothari, Ariel Salleh, Arturo Escobar, Federico Demaria, Alberto Acosta (Hrsg.): Pluriversum – Ein Lexikon des Guten Lebens für Alle, AG SPAK Bücher, Neu-Ulm, 2023. Eine 2. korrigierte Auflage von 2024 steht hier kostenlos online: https://agspak.de/pluriversum/ [2] Schon 2014 veröffentlichte beispielsweise die Otto Brenner Stiftung eine Studie „Verdeckte PR in Wikipedia – Das Weltwissen im Visier von Unternehmen“, 2019 berichtete die FR über „Stille Helfer der AfD“. [3] George C. Caffentzis: Digitale Werkzeuge (Pluriversum, Seite 61). Caffentzis ist emeritierter Professor am Fachbereich Philosophie an der University of Southern Maine, Portland. [4] Quelle: Wo sind sie, die Inseln der Vernunft im Cyberstrom? Herder Verlag, Freiburg i. Br., 2006, Seite 9. [5] Hug March: Smart Cities (Pluriversum, Seite 94): March ist politischer Stadtökologe und lehrt an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universitat Oberta de Catalunya (Spanien). [6] Hier steht die ganze Rede online: „Smart“ Cities und die Zukunft der Städte – Schmährede zum Big Brother Award (2018). [7] Diese Fragen werden ernsthaft diskutiert. Beispielsweise veröffentlichte Jörg Noller von der Ludwig-Maximilians-Universität München am 23.02.2024 den Beitrag „Können Roboter Emotionen haben?“, 2020 erschien im Handelsblatt der Artikel „Das Recht des Roboters“. [8] Luke Novak: Transhumanismus (Pluriversum, Seite 96). Novak ist Soziologe, Anthropologe und Jurist. [9] Quelle: Interview mit Joseph Weizenbaum, geführt von Bernhard Pörksen: Das Menschenbild der Künstlichen Intelligenz, 1998, dokumentiert auf der Website des Weizenbaum-Instituts. [10] Ashish Kothari, Ariel Salleh, Arturo Escobar, Federico Demaria, Alberto Acosta: Pluriverse Wege finden (Pluriversum, Seite 24) [11] Ivan Illich: Tools for Conviviality (kpl. online). [12] David Barkin: Konvivialität (Pluriversum, Seite 185). Barkin lehrt Ökonomie an der Universidad Autónoma Metropolitana in Mexiko-Stadt. [13] Das Werk von Ivan Illich wird gepflegt und weiterentwickelt von der Stiftung Convivial, der auch einige seiner Freund*innen und Mitarbeiter*innen angehören. [14] Christelle Terreblanche: Ökofeminismus (Pluriversum, Seite 229). Terreblanche ist Journalistin und promoviert an der University of KwaZulu-Natal in Südafrika. [15] Das Buch von Carolyn Merchant wurde 2020 von oekom mit einer Einführung von Christine Bauhardt veröffentlicht. [16] Beispielsweise erschien 2016 im Verlag AG SPAK Bücher eine überarbeitete und aktualisierte Neuauflage von Maria Mies und Vandana Shiva: Ökofeminismus – Die Befreiung der Frauen, der Natur und unterdrückter Völker. [17] Zur „meta-industriellen Klasse“ veröffentlichte die Zeitschrift Luxemburg im Januar 2018 von Ariel Salleh: Für eine Demokratisierung der Klassentheorie [18] Zur Bundestagswahl 2021 gab es eine Kampagne „Nein zu Scheinlösungen in der Klimakrise“ mit ausführlichen Informationen. [19] Zum Pluriversum-Buch habe ich u.a. einen Artikel „Hat die Menschheit noch eine Chance? Zur Bewältigung der Vielfachkrisen sind neue Wege not-wendig!“ verfasst und am 09.04.2023 auch hier im Blog veröffentlicht (er erschien zuerst am 17.01.2023 im Postwachstumsblog).
Zur Autorin Elisabeth Voss hat gemeinsam mit anderen das Pluriversum-Buch ins Deutsche übersetzt. Ihre digitalkritischen Veröffentlichungen hat sie auf ihrer Website verlinkt. Bei Vimeo gibt es einen Smart City-Vortrag bei der Aktion Freiheit statt Angst vom 15.03.2022 mit einigen Infos und Links dazu (pdf).
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